Magic Future Money - Geschichte Nr. 11

Goldies

Goldies

Langsam schritt er die Promenade hinunter, ließ seinen Blick schweifen. Abgehend vom zentralen Tunnel reihte sich ein Geschäft an das nächste. Insgesamt hatte er bisher zwölf Bars und ebenso viele Nachtklubs gezählt, dazu drei Kliniken für Aussehensmodifikationen sowie unzählige teure Boutiquen. Mindestens an jedem zweiten Schaufenster klebte ein goldenes G. Die Mehrzahl der abendlichen Flaneure bedachte ihn mit abschätzigen bis feindseligen Blicken. Niemals zuvor hatte er sich so fremd gefühlt.

Tomek schaute auf zu der Glaskuppel, die sich zwanzig Meter oder mehr über seinem Kopf wölbte. Die Lichter der Vergnügungsmeile waren zu hell, um einem Blick auf den Sternenhimmel zu erlauben. Enttäuschung machte sich breit, gepaart mit der Sehnsucht nach den dunstigen Straßen seiner Heimat, den Geräuschen und Gerüchen der allgegenwärtigen Garküchen, an denen man zu jeder Tages- und Nachtzeit für ein bis zwei Nu einen Snack und für drei Nu eine komplette Mahlzeit genießen konnte. Er sehnte sich nach den kleinen Läden, deren Auslagen sich auf die staubigen Gehsteige ergossen und den Bars, in denen jeder willkommen war.

Seine Aufmerksamkeit wurde von einer Gruppe junger Leute angezogen, die vor einem 5-D-Kino standen. Eine Ansammlung von Leibern und Gesichtern, ein knappes Dutzend vielleicht, ebenso bedeutungslos wie alle anderen, die er an diesem Abend sah. Und mittendrin sie. Ein blasses Gesicht, umrahmt von dunkelbraunen Locken, eine kleine Stupsnase und ein paar Augen, so tief, dass Tomek glaubte, darin zu ertrinken.

Wie in Trance starrte er sie an.

Sie schaute zurück. Hob eine Hand, winkte.

Seine Füße entwickelten ein Eigenleben. Schritt für Schritt ging er auf sie zu.

Ihre Lippen bewegten sich. „Hallo“, hauchten sie ihm zu.

Sie war aus der Gruppe herausgetreten, ihm entgegen. Ihre sportliche Figur wurde von einem weinroten Kleid umschmeichelt.

Er schluckte. „Hallo. Ich bin Tomek.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Mein Name ist Violet. Woher kommst du?“

„Aus New London.“

Fragend legte sie den Kopf schief.

„Von der Erde“, fügte er hinzu.

Als sei sein Heimatplanet ein Zauberwort, drehten sich beinahe alle Mitglieder von Violets Gruppe zu ihnen um.

„Von der Erde? Erzähl keinen Scheiß. Die gibt es noch?“, rief ein Junge, den er auf achtzehn oder neunzehn Erdenjahre schätzte.

„Klar gibt es die noch, du tumber Stein“, schalte sich ein anderer junger Mann ein. „Ist die Luft dort wirklich so dreckig, dass man nur mit Atemfilter auf die Straße gehen kann?“

„Nein. Die Luftqualität haben sie durch die Bevölkerungsreduktion und massive Aufforstung in den Griff bekommen.“

Ehe er es sich versah, gab er einer Gruppe Marsgeborenen eine Lektion in Erdleben, erzählte vom heroischen Kampf gegen den steigenden Meeresspiegel und die Extremwetter, von neuen Städten und Artenschutz.

Violet war neben ihn getreten und ihr dezenter, blumiger Duft hüllte ihn ein.

„Der Film fängt gleich an“, beendete eine der jungen Frauen in der Runde unvermittelt das Fragebombardement.

„Willst du mitkommen?“, fragte Violet.

Tomek fixierte das goldene G an der Eingangstür und schüttelte langsam den Kopf.

„Armer Schlucker, was?“, fragte einer der jungen Männer, der die ganze Zeit abseits gestanden und ihn misstrauisch beäugt hatte.

Obwohl er nur drei bis vier Jahre älter war als die Marsbewohner, war der Zahlchip in seinem Handrücken über eine Millionen Nu schwer, harter Arbeit und einer Begabung als Ingenieur sei Dank. Und dennoch musste er die Frage mit einem Nicken beantworten. Selbst zehn Millionen Nu würden ihn nicht zu einem reichen Mann machen, auch eine Milliarde nicht. Mit Nu konnte man leben, mit vielen Nu gut leben, doch Luxus gab es nur für Golds. Während jeder Bewohner der Erde und der zwölf extraterrestrischen Kolonien Nu erhielt, um damit seine Grundbedürfnisse zu decken, selbst wenn er nicht arbeitete, waren Golds denen vorbehalten, die besondere Jobs hatten, in Regierungsverantwortung standen oder geerbt hatten. Oder man handelte mit speziellen Waren außerhalb des Grundbedarfs. Nur bei diesen war es erlaubt, den Preis ausschließlich in Golds festzusetzen. Bionische Implantate waren so ein Luxus, ebenso wie bestimmte Freizeitaktivitäten. Manches konnte man sowohl für Nu als auch für Golds kaufen. Ein Preis in Nu brachte dem Geschäftsmann mehr Kunden, Golds jedoch waren mehr wert, denn nur für sie konnte man alles bekommen, was das Herz begehrte. Es war unter Strafe verboten, Nu in Golds umzutauschen.

Sein Nicken brachte ihm mitleidige Blicke ein. Sie waren nichts Neues für ihn. Auch auf der Erde gab es Goldies. Diese Gruppe bestand aus der schlimmsten Kategorie dieses Geldadels: Goldie-Erben. Erarbeitet hatte sich keiner von ihnen die Golds, die sie auf der Amüsiermeile zu verprassen gedachten.

„Ich werd‘ dann mal gehen.“ Tomek warf Violet einen wehmütigen Blick zu. Für einen Moment hatte er zu träumen gewagt. Er wollte sich gerade umdrehen, als sie seine Hand ergriff. „Ich lade dich ein.“

„Das kann ich nicht annehmen.“

„Doch, kannst du!“ Ihre Augen flehten ihn an, nachzugeben. Er konnte es nicht.

„Violet, kommst du jetzt?“, rief eine ihrer Freundinnen ungeduldig. „Oder willst du uns für diesen Proleten hängen lassen.“

„Ja!“ Sie drehte sich nicht einmal zu den Goldies um, sondern schenkte ihm ein Lächeln. Dann hakte sie sich bei ihm unter. „Ich habe von einer Bar gehört, die Blick auf den Sternenhimmel bietet. Allerdings wirst du mich einladen müssen. Die akzeptieren nur Nu.“ Ihr Lachen war glockenhell.

Niemals zuvor hatte Tomek etwas so Schönes gehört.

Vielleicht hatten die Goldie und er eine Chance. Auf jeden Fall würde er an diesem Abend die Sterne sehen.