Magic Future Money - Geschichte Nr. 12

Auge um Auge

Auge um Auge

„Zweihundert?“

Penelope Jenkins unterbrach ihr Schluchzen. Im bläulichen Licht der Deckenlampe des unterirdischen Bestattungsinstituts sah ihr puppenhaftes Gesicht blass und leblos aus.

Henry hielt ihr den Decoder entgegen.

„Hier ist das Scanergebnis.“

Sie nahm die mit Diamanten besetzte Brille ab und starrte auf das Display.

„Carl hatte mir versichert, dass für mich vorgesorgt ist.“

„Dazu kann ich nichts sagen. Ich registriere lediglich das Green-Coin-Guthaben der Iris-Wallets nach Einlieferung.“

Mrs Jenkins verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Trauer schien wie weggeblasen.

„Aber ich habe dringende Rechnungen zu bezahlen. Wirklich dringende! Vielleicht sind Sie beim Registrieren der IWs mit Ihren Leichen durcheinandergekommen!“

Henry ballte die Hände unter dem Tisch. Die vernarbte Haut über dem Stumpf seines kleinen Fingers brannte.

„Mrs Jenkins, die Abläufe in diesem Institut entsprechen allen Vorschriften. Abgesehen davon ist Ihr Mann zurzeit mein einziger … Gast.“

Eine unangenehme Pause entstand.

Er seufzte.

„Wir können den Scan gerne noch einmal gemeinsam vornehmen.“

„Eine hervorragende Idee, Mr Mullen.“ Mit einem Satz sprang die frischgebackene Witwe auf.

„Sicher? Vielleicht sollten Sie Ihren Mann so in Erinnerung behalten, wie Sie ihn zuletzt gesehen haben.“

„Alles ist besser als meine letzte Erinnerung an diesen Geizhals. Da hatte er mir verboten, ein zweites Mal am gleichen Tag zu duschen, weil ihn das läppische dreißig GCs gekostet hätte.“

„Das ist immerhin der Gegenwert von dreißig Tagen ohne Wasserschulden.“

„Wissen Sie eigentlich, wie viele Bäume mein Mann in seinem Leben gepflanzt hat? Nein? Ich auch nicht. Aber ich weiß, dass er für jede gesetzte Rot-Eiche zwanzig GCs erhalten hat. Carl hat doch nicht jahrelang in der Aufforstung geschuftet, damit seine Ehefrau anschließend Wasser sparen muss.“

„Tja – wir alle müssen verzichten. Für den höheren Zweck.“

„Unsinn. Diese Welt ist hinüber. Und ich will meine letzten Tage gefälligst genießen. Aber obwohl dieser alte Rappenspalter mit seinen ach so tollen Taten ein Vermögen angehäuft hatte, muss ich in diesem unterirdischen Schlund leben, der sich Stadt schimpft.“

Mit unbewegter Miene stand Henry auf.

„Hier entlang, bitte.“

Mrs Jenkins folgte ihm durch die aufgleitende Stahltür in die weitläufige Leichenhalle. Zahlreiche Deckenlampen, die in die wellenartige Granitdecke eingelassenen waren, leuchteten die Halle aus, in deren Mitte zehn Bahren nebeneinanderstanden. Neun waren leer. An der hinteren Wand zog sich ein überdimensional großes Rohr durch den Felsen, in dessen Öffnung ein kapselähnlicher Sarg lag.

„Kalt hier“, kommentierte Mrs Jenkins.

Henry deutete im Vorbeigehen auf einen hüfthohen, schneeweißen Tank, der mit einer mannsgroßen Stahlklappe verschlossen war.

„Der Stickstoff der Kryonik-Atomisierungs-Kammer verstärkt die Fernkälte des Staudamms.“

„Interessant.“

Er führte sie zur letzten Bahre und zog das Laken von dem leblosen Körper. Carl Jenkins war am Vortag in einer Nebenstraße von Hollow´s Hope dem Fräsbohrer eines Tunnel-Dozers zum Opfer gefallen und alles andere als ein angenehmer Anblick. Ohne eine Miene zu verziehen, griff Mrs Jenkins nach dem Decoder, den Henry ihr reichte.

„Sie müssen den seitlichen Knopf drücken“, sagte er. „Ich ziehe sein Augenlid zurück.“

Der Scanner schwebte einige Sekunden über dem trüben Auge des Toten und auf dem Display leuchtete eine Zahl auf.

„Dieser Mistkerl“, fauchte die Witwe leise.

Henry nahm ihr das Gerät ab, bedeckte die Leiche und führte Mrs Jenkins zurück in sein Büro. Nachdem sie sich gesetzt hatten, schob er ihr ein digitales Notizbuch zu.

„Bitte quittieren Sie das Scanergebnis. Das macht fünf GCs.“

Mrs Jenkins erwachte aus ihrer Schockstarre.

„Bitte was?“

„Der Scan nach der Einlieferung ist kostenlos. Jeder weitere verursacht zusätzliche Transaktionsgebühren. Hat systemische Gründe.“

„Warum haben Sie mir das nicht vorher gesagt?“

Henrys Mundwinkel zuckten, doch er schwieg.

Mrs Jenkins seufzte.

„Dann ziehen Sie diese verfluchte Gebühr in Dreiteufelsnamen von den Zweihundert ab.“

„Solange das Guthaben Ihres Mannes nicht offiziell auf sie umgebucht ist, geht das leider nicht.“

Mrs Jenkins atmete tief durch, vollführte eine gebieterische Handbewegung und beugte sich über den Tisch. Henry hielt ihr den Scanner vor das linke Auge und sie zwinkerte. Der Decoder bestätigte die Zahlung mit einem hellen Glockenton.

„Sobald der Notar den Betrag freigegeben hat, werden die Green-Coins Ihres Mannes auf Ihr IW übertragen.“

„Zweihundert“, murmelte die Witwe.

„Haben Sie sich schon Gedanken über die Bestattung gemacht?“

„Carl wollte verbrannt und unter seinen dämlichen Bäumen verstreut werden.“

„Feuerbestattungen sind im Untergrund verboten. Die Abgase und …“

„Das weiß ich auch, Mr Mullen. Sie müssen mir nicht die Welt erklären.“

Mit mahlendem Kiefer betrachtete sie ihre langen Fingernägel.

„Was ist die günstigste Variante?“

Henry sah aus dem Augenwinkel seinen Pager aufblinken und zuckte zusammen.

„Ich schicke Ihnen einen Vorkostenanschlag für eine Kryo-Atomisierung und Sie schlafen eine Nacht darüber, in Ordnung?“

„Damit Sie mir für jeden Tag, den mein Mann hier herumliegt, eine neue Gebühr abknöpfen können?“

„Das geht aufs Haus.“

Mrs Jenkins sah ihn an und legte den Kopf schief.

„Wie nett. Ich melde mich.“

Sie verließ das Institut, ohne sich noch einmal umzudrehen – ansonsten wären ihr die feinen Schweißtropfen auf Henrys Stirn aufgefallen.

Henry ging mit langen Schritten auf die Antigravitations-Röhre zu, in der die offene Überführungskapsel ruhte. Er schloss einen kleinen Tresor unter der Röhre auf und griff nach einem Kästchen. In diesem Moment quietschte die Eingangstür seines Büros, gefolgt von einem gleichmäßigen Klacken. Hastig ließ er die Schatulle unter Mr Jenkins Laken verschwinden.

„Guten Abend, Henry.“

Er drehte sich um.

„Alva. Was machst du hier?“

Die alte Frau stemmte ihre linke Hand in die Hüfte. Mit der anderen stützte sie sich auf ihren Gehstock.

„Ich habe deine Kundin davonstöckeln sehen. Sah ja nicht besonders traurig aus.“

„Ihr Mann hat ihr leider nicht das Vermögen hinterlassen, mit dem sie gerechnet hatte. Nun muss ihr Umzug in ein vollklimatisiertes Domizil mit Wüstenausblick leider ausfallen.“

Alva schüttelte den Kopf.

„Manche Menschen verstehen es einfach nicht. Bald gilt es bestimmt nicht mehr als mondän, an der Oberfläche zu leben.“

„Dummheit stirbt nie aus. Aber du bist wahrscheinlich nicht hier, um mit mir über die sozialökologischen Effekte des Klimakriegs zu philosophieren.“

„Richtig, mein Junge. Du musst dir dringend meinen Holo-Mat ansehen. Der hängt schon seit Tagen. Ich revanchiere mich auch mit einem frisch angesetzten Löwenzahnschnaps.“

„Klingt verlockend. Aber ich habe gerade viel zu tun.“

Alvas Blick wanderte über die leeren Bahren und blieb an Mr. Jenkins Leiche hängen.

„Ah ja.“

„Ich komme morgen vorbei.“

Die alte Frau lächelte.

„Gut. Dann können wir ausführlicher über deine Kunden lästern.“

„Hört sich großartig an.“

Alva humpelte hinaus und kurz darauf fiel die Tür zu.

Henry wollte sich gerade wieder dem Kästchen widmen, als das Schloss erneut zuschnappte, diesmal gedämpfter.

Er tastete nach einem Skalpell, das auf dem Rollcontainer neben Mr Jenkins Bahre lag, und behielt die Tür im Auge. Da sah er eine Gestalt an der Felswand entlang huschen.
„Wer ist da?“

Im Schatten einer Felsnische raschelte es. Henry schlich an dem Kryo-Tank vorbei und sprang mit gezücktem Skalpell vor.

Das Mädchen kauerte in der Nische und sah ihn verängstigt an. Sie war nicht älter als neun, trug eine zerrissene Jeans und ein zu großes schwarz-rot kariertes Hemd.

„Was machst du hier? Das ist kein Spielplatz!“, herrschte Henry sie an.

Sie rutschte weiter zurück und ihm wurde klar, dass er mit dem Skalpell in der Hand nicht gerade vertrauenerweckend wirkte. Langsam ließ er den Arm sinken.

„Du musst von hier verschwinden, verstanden? Gleich kommen …“

In diesem Moment öffnete sich die Bürotür des Instituts ein weiteres Mal und schwere Schritte nährten sich.

Ehe Henry es sich versah, kletterte das Mädchen in die offene Überführungskapsel.

Sekunden später stolzierte ein kleiner, dicker Mann in die Leichenhalle, eskortiert von zwei bulligen Leibwächtern.

„Buona sera, Henry.“

Henry kämpfte gegen das Zittern in seiner Stimme.

„Signor Fachetta!“

Donnie Fachetta blickte sich um und deutete auf Mr Jenkins.

„Ich nehme an, bis auf den hier sind wir allein?“

„Selbst… selbstverständlich“, stotterte Henry.

Einer der Leibwächter hob das Leichentuch an und zuckte angewidert zurück.

„Stupido, was soll das?“, schimpfte Donnie. „Sei nicht so ein Weichei!“

Kopfschüttelnd wandte er sich an Henry: „Zu zart besaitet. Erledigt seine Arbeit am liebsten im Dunklen, weil man dann das Blut nicht sieht. Was hast du heute für mich?“

Mit zitternden Fingern reichte Henry Donnies Leibwächter das Kästchen.

„Wilma Fikowski mit viertausend, Bill Hopkins mit zwanzigtausend und Carl Jenkins mit achtzigtausend.“

Donnie lächelte.

„Der gute alte Carl, unser vorbildlicher Waldmissionar. Sehr schön.“

„Sie kannten ihn?“

„Nicht persönlich. Nur seine reizende Frau Penny. Sie bat mich vor einigen Tagen um einen kleinen Gefallen.“
Donnie begutachtete seine Fingernägel.

„Penny war mit Sicherheit entsetzt über Carls Vermögensstand. Nun, wir leben in einer schrecklichen Welt. Aber ihr wird schon etwas einfallen, wie sie ihre Schulden bei mir abarbeiten kann. Sie sieht schließlich noch ziemlich gut aus. Und ich bin ja kein Unmensch.“

Henry presste die Lippen zusammen und beobachtete, wie einer der Leibwächter den Inhalt des Kästchens scannte. Er nickte Donnie zu, der sich lächelnd an Henry wandte.

„Bevor ich es vergesse: Ist dir heute vielleicht zufällig ein kleines Mädchen begegnet? So groß ungefähr? Lange, dunkle Haare?“

Henry sah Donnie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Tut mir leid, mein Institut ist nicht gerade ein Magnet für Kinder. Was ist mit ihr?“

Donnie winkte ab.

„Ach, nur die Tochter eines alten Freundes. Ausgebüxt. Wenn du sie siehst, meldest du dich, capisce?“

„Verstanden.“

„Frankie schickt dir übrigens gleich eine Speziallieferung.“

Donnie gab seinen Bodyguards ein Zeichen und ging Richtung Ausgang.

„Signore Fachetta, ich brauche für die nächste Ware neue Substitute“, rief Henry ihm nach.

Der kleine Mann blieb stehen, ohne sich umzudrehen.

„Nein, brauchst du nicht.“

„Wie meinen Sie das?“

„Ab sofort bist du nur noch für die Entsorgungen meines Abfalls zuständig.“

„Ach“, entfuhr es Henry. „Wieso das?“

Donnie drehte sich zu ihm um und lächelte.

„Irgendetwas sagt mir, dass diese lästigen Green-Coins bald Geschichte sein werden und ich meine alten Geschäfte wiederaufnehmen kann.“

„Davon habe ich noch nichts gehört“, sagte Henry verdutzt. „Die GCs sind doch mittlerweile die internationale Standard-Währung und das Weltkomitee …“

„Zum Teufel mit dem Weltkomitee. Es braucht nur einen einzigen großen Knall, dann schert sich niemand mehr um diese Weltverbesserer. Aber zerbrich dir nicht den Kopf darüber, sondern erledige einfach deine Arbeit. Du bist nichts weiter als ein kleiner Leichenfledderer – vergiss das nicht.“

„Weil Sie mich dazu gemacht haben“, raunte Henry.

„Was hast du da gesagt?“

Henry ging einen Schritt zurück und sah Donnie Fachetta erschrocken an, der ihn anfauchte: „Du ganz allein hast dich in diese Lage gebracht. Ich habe dir nur einen Ausweg gezeigt. Merk dir das.“

Er gab seinen Leibwächtern ein Zeichen und sie verließen die Leichenhalle.

Henry rieb sich über den Stumpf des kleinen Fingers und wartete, bis er sicher sein konnte, dass die Männer verschwunden waren. Dann klopfte er an das getönte Glas des Überführungssarges.

„Sie sind weg.“

Das Mädchen sprang aus der Kapsel und schnappte nach Luft.

„Du … gehörst zu denen“, keuchte sie.

„Rede keinen Unsinn. Sag mir lieber, warum Donnie dich sucht! Hey… bleib stehen!“

Das Mädchen hetzte durch die Halle in sein Büro.

„Dann lauf halt weg“, brüllte er. „Mir doch egal, wenn sie dich fangen.“

Da hörte er sie aufschreien.

Henry rannte los.

Er hatte damit gerechnet, das Mädchen in den Pranken von Donnies Leibwächtern wiederzufinden. Stattdessen lag die Kleine am Boden seines Büros und sah zu Alva hoch, die ihre Hände in die Hüften stützte und ihren Blick erwiderte.

„Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass mein Holo-Mat wieder funktioniert. Da ist mir dieses Täubchen in die Arme geflogen.“

Das Mädchen rutschte zurück und warf einen schnellen Blick zur Tür.

„Wer wegrennt, hat meistens etwas ausgefressen. Hast du meinen Freund hier bestohlen?“

Henry winkte ab.

„Sie hat nichts gestohlen, Alva. Lass sie laufen.“

„Du bist … Alva?“, flüsterte das Mädchen.

„Du sagst das geradeso, als ob ich eine Heilige wäre“, lachte die alte Frau.

Das Kleine hatte Tränen in den Augen.

„Ich habe nach dir gesucht.“

„Was? Aber mich sucht niemand, außer…“

Alvas Lächeln gefror.

„Bist du etwa Samantha? Samantha Jones?“

Das Mädchen nickte tränenüberströmt.

„Oh, mein Gott. Kleine, komm her!“

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Henry, der ratlos zusah, wie die alte Frau das weinende Mädchen in ihre Arme schloss.

„Mein Mann war ihr Patenonkel. Wir haben Samantha zuletzt als Baby gesehen. Das war noch vor dem Krieg.“

Alva löste die Kleine sanft aus ihren Armen und sah ihr in die Augen.

„Wo sind deine Eltern?“

„Sie sind am Polar-Fieber gestorben. Onkel Jake hat mich bei sich aufgenommen. Aber nun ist er auch weg. Er sagte vorher, ich soll zu dir gehen, falls ihm was passiert. Du bist die einzige, der er vertraut hat.“

„Vorher? Vor was?“

„Bevor sie ihn ermordet haben.“

„Kind, was redest du?“

„Ich habe es gesehen. Und dann bin ich weggerannt. Es waren die Männer, die bei dem da waren.“

Sie zeigte auf Henry.

Alva zog Samantha zu sich heran und blickte ihn fragend an.

„Wer war bei dir?“

Henry rieb sich die Augen. Er war mit einem Schlag sehr müde.

„Je weniger du weißt, desto besser.“

„Komm mir bloß nicht so, mein Junge. Du erzählst mir sofort, was hier gespielt wird.“

„Das geht nicht.“

„Wenn du es ihr nicht sagst“, schluchzte Samantha, „…verrate ich den bösen Männern, dass du mich versteckt hast, wenn sie mich fangen!“

Alva warf ihm einen kalten Blick zu.

„Niemand wird dich fangen. Vorher benachrichtige ich die Tribunal-Garde.“

Fassungslos starrte Henry die beiden an. Das Mädchen und die alte Frau hatten ihn in der Hand. Und das gefiel ihm überhaupt nicht.

„Du machst was?“, rief Alva.

„Ich würde es dir ja erklären, wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest“, zischte Henry.

Sie hatten sich in Alvas winzige Höhlen-Wohnung zurückgezogen, um nicht von Donnie überrascht zu werden.

Da es für Samantha auf der Straße zu gefährlich war, hatte Henry das Mädchen durch einen Kellergang unter der Leichenhalle in die Nachbarwohnung gebracht, während Alva vorausgehumpelt war. Sie ließ die beiden durch eine Falltür in ihre Wohnung hineinklettern.

„Ist es nicht gruselig, neben den Toten zu wohnen?“, hatte das Mädchen Alva gefragt.

„Im Gegenteil. Ich hatte noch nie ruhigere Nachbarn und mein Weg ist nicht so weit, wenn meine Zeit mal kommt. Ich möchte nicht als Rohrpost verschickt werden. Da bin ich wohl etwas altmodisch.“

Nun saßen Henry und Alva in der kleinen Küche, während Samantha auf dem Sofa im Wohnraum hinter ihnen schlief.

„Du schneidest den Toten also in den Augen herum und tauscht ihre Regenbogenhaut mit den IWs gegen eine künstliche Linse aus, auf der sich nur noch ein geringes Guthaben befindet“, fasste Alva zusammen.

„Ich habe nie behauptet, dass die Linsen künstlich…“

„Henry!“ Sie warf einen entsetzten Blick auf das schlafende Mädchen. „Das wird ja immer schlimmer! Woher kommen die Tauschlinsen?“

„Donnie bringt sie mir. Da stellt man keine Fragen.“

Die alte Frau goss sich ihren dritten Löwenzahnschnaps ein. Sie hatte Henry nichts angeboten.

„Die Guthaben auf den IWs und die Transaktionen sind doch personengebunden und werden überwacht. Wie ist so etwas denn möglich?“

„Die Überwachung der IWs sind an die Vitalfunktionen ihrer Inhaber geknüpft. Sobald das Herz aufhört zu schlagen, erlischt die Verbindung zur Datenbank. Bis das Scanergebnis bestätigt und auf einen Lebenden übertragen wird.“

„Und du hast diese Lücke ausgenutzt.“

Alva nahm einen großen Schluck. „Das hätte ich niemals von dir gedacht, Junge.“

Henry seufzte.

„Ich habe keine andere Wahl. Vor ein paar Jahren bin ich in Schwierigkeiten geraten. Damals, als während des Krieges noch das Glücksspiel erlaubt war.“

„So ist das also – du hast Spielschulden bei Donnie.“

„Glaub mir, ich habe mich an dieser Sache niemals bereichert. Ich habe von ihm die Tauschlinsen bekommen und er hat sich jede Woche seine IWs abgeholt. Ein einziges Mal ist mir eine Regenbogenhaut eingerissen und ist unbrauchbar geworden. Daraufhin wollte er ganz genau wissen, wie die Beseitigung von organischem Material durch Stickstoff funktioniert.“

Henry hielt seine linke Hand hoch, an der sein kleiner Finger fehlte.

Eine Weile sagte Alva nichts. Dann stand sie auf, griff nach einem sauberen Glas und schenkte es randvoll ein.

„Danke“, flüsterte er und trank einen Schluck.

„Eines ist mir nicht klar. Was genau macht Donnie mit den Regenbogenhäuten?“

„Er gießt sie in Silikon und stellt künstliche Linsen her. Die tauscht er auf dem Schwarzmarkt gegen andere Wertgegenstände ein. Es gibt dort draußen genügend Menschen, die sich einen Dreck um ihren Footprint scheren und zu bequem sind, sich ihr Vermögen durch Wasser- und Mülleinsparung aufzubauen, geschweige denn einen Baum zu pflanzen. Auf diese Weise kann Donnie seine krummen Geschäfte am Laufen halten.“

Nebenan erklang das hydraulische Rauschen des Anti-Gravitation-Tunnels.

„Donnies nächste Lieferung“, flüsterte Henry und nippte an seinem Glas. „Er zwingt mich, seine Opfer zu atomisieren. Ich kann dir nicht sagen, wie viele es in den letzten Jahren waren. Dieser Mann ist ein Monster.“

„Meinst du, dass es Samanthas Onkel ist?“

„Mit Sicherheit.“

„Was ist mit Onkel Jake?“

Samantha stand mit einer Häkeldecke über den Schultern hinter ihnen und sah sie verschlafen an.

„Nichts, mein Kind“, sagte Alva. „Fühlst du dich besser? Ich mache dir etwas zu essen.“

Samantha schüttelte den Kopf und sah zu Boden.

„Onkel Jake hat etwas Schlimmes herausgefunden.“

Henry und Alva tauschten Blicke.

„Was denn, Samantha?“, fragte Henry.

„Er konnte es mir nicht mehr erzählen. Aber er sagte, dass es um die Stadt geht. Irgendetwas wird passieren.“

„Das kann alles Mögliche bedeuten“, sagte Alva. „Mehr weißt du nicht?“

Das Mädchen zuckte mit den Schultern und gähnte.

Henry stand auf.

„Bin gleich wieder da. Ich muss etwas überprüfen.“

Alva sah ihn fragend an, aber er schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann kletterte er neben der Kochnische in den Kellergang hinab und eilte zurück in die Leichenhalle.

Zwei Stunden später klopfte Henry an die Falltür. Alva hatte die Klappe noch nicht ganz geöffnet, als sie ihn anzischte: „Ich dachte schon, dass du dich aus dem Staub gemacht hast!“

Er kletterte in die Küche.

„Wo ist die Kleine?“

„Sitzt vor dem Holo-Mat und schaut Cartoons.“

„Wir brauchen sie gleich. Ich bin an Jakes Gedankenaufzeichnungen gekommen.“

„Sag bitte nicht, dass…“

„Es ging nicht anders. Persönliche Notizen können nicht wie Guthaben gescannt werden. Ich habe aus seiner Iris eine synthetische Linse angefertigt und mir seine Aufzeichnungen angesehen.“

Alva schloss die Augen. Dann rief sie:

„Samantha?“

Es raschelte und das Mädchen hüpfte in die Küche. Sie sah nicht mehr so blass und verschüchtert aus. Verwundert stellte Henry fest, dass er sich darüber freute, obwohl es ihn seit Jahren nicht mehr kümmerte, wie es seinen Mitmenschen ging.

„Wo warst du?“, fragte Samantha.

„Ich habe etwas gesucht. Und gefunden. Eine Nachricht von deinem Onkel.“

„Woher hast du die her?“

„Das erkläre ich dir ein anderes Mal. Erst brauche ich deine Hilfe.“

„Es ist bestimmt ein Rätsel.“

„Woher weißt du das?“

„Onkel Jake liebte Rätsel. Er hat sich oft welche für mich ausgedacht.“

Henry lächelte.

„Auf so etwas hatte ich gehofft.“

Samantha setze sich an den Küchentisch und sah ihn erwartungsvoll an. Er zog ein Stück Papier aus seiner Jackentasche.

„Befreit bringt es das alte Verderben, Schwerter schlagen Lilien in Scherben. A4Y25.“

Alva nahm ihm stirnrunzelnd den Zettel aus der Hand, las die Zeilen und murmelte vor sich hin.

„Verderben, Scherben…hm, keine Ahnung. Und was sollen diese Buchstaben und Zahlen bedeuten?“

„Schwertlilien waren die Lieblingsblumen meiner Oma“, sagte Samantha. „Bevor es oben so heiß wurde.“

Die alte Frau lehnte sich vor.

„Und weiter?“

„Meine Oma war traurig, als sie ausstarben. Onkel Jake hat damals gesagt, dass sie nicht traurig sein soll, weil jeder stets zwei Schwertlilien bei sich trägt.“

Henry und Alva blickten Samantha verständnislos an.

„Ein anderer Name für Schwertlilie ist Iris“, erklärte das Mädchen. „Wie die im Auge.“

„Das ist ja gut und schön“, sagte Henry. „Aber was soll das bedeuten?“

Samantha zuckte mit den Schultern.

„Jake war als Abfallmanager für die Stadt angestellt, richtig?“, fragte Alva.

„Ja, er hat das Rohrsystem überwacht“, antwortete das Mädchen.

Die alte Frau stand auf, humpelte zu einer antiken Kommode und öffnete die oberste Schublade, aus der sie eine verschlissene Mappe zog. Mit zusammengekniffenen Augen blätterte sie die Papiere durch.

„Da ist es! A4Y25. Ich wusste doch, dass mir diese Buchstaben bekannt vorkommen.“

Die drei beugten sich über das vergilbte Dokument.

„Sieht aus wie ein Irrgarten“, sagte Samantha.

„Ist es auch. Das Rohrsystem der Abfall- und Fernkälteanlage von Hollow´s Hope.“

„Woher hast du das?“, fragte Henry mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Unwichtig. Seht ihr das hier? Den Knotenpunkt der zwei Abfallrohre? A4Y25.“

Henry legte einen Finger auf den Punkt.

„Wenn ich mich nicht täusche, liegt diese Kreuzung direkt über der Mauer des Staudamms.“

Für einen Moment war es still.

Dann flüsterte Alva: „Du meinst doch nicht …“

„Mir ist jetzt klar, wofür Donnie die GCs der Toten brauchte. Es ist heutzutage fast unmöglich, Sprengstoff zu besorgen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Donnie sprach von einem großen Knall, der alles verändern wird.“

„Oh, mein Gott.“

Alva sank auf ihren Stuhl.

„Was ist denn los?“, rief Samantha.

Henry hockte sich vor sie.

„Dein Onkel wollte dich schützen. Er hatte für alle Fälle diese Notiz hinterlassen, auch wenn er sich dadurch nicht mehr retten konnte. Er hat das alles wahrscheinlich nicht freiwillig gemacht, genauso wenig wie ich.“

Samantha standen die Tränen in den Augen.

„Ich verstehe das nicht.“

„Befreit bringt es das Verderben“, sagte Henry düster. „Donnie will den Staudamm sprengen. Hollow´s Hope ist der Hauptsitz der GCs-Verwaltung. Das Weltkomitee hat sich damals für eine isolierte Datenbank entschieden, um Ressourcen zu sparen. Das entspricht zwar der Nachhaltigkeit, ist aber auch unglaublich dumm. Diese Stadt ist wie ein geschlossenes Ökosystem. Wenn diese Datenbank zerstört wird, kommt es zu einem weltweiten Kollaps. Die Menschen würden das Vertrauen in das Komitee verlieren. Und ohne dieses Vertrauen sind die Green-Coins absolut wertlos.“

„Schwerter schlagen Lilien in Scherben“, murmelte Alva. „Nicht nur das GC-System würde zerstört werden. Tausende Menschen werden ertrinken.“

„Das ist Donnie egal, solange er dem System einen Schlag versetzen kann, um zu seinen alten Geschäften zurückzukehren. Wahrscheinlich hat er schon einige seiner Männer in entsprechende Positionen korrumpiert, die ein neues Konzept parat haben, sobald das Chaos losbricht. Er erpresst die Entscheidungsträger und bringt alle Mitwisser um.“

Samantha schluchzte auf. Alva zog das Mädchen in ihre Arme, die das Gesicht in ihrer Halsbeuge vergrub.

„Wir müssen das dem Tribunal melden.“

„Wenn wir falsch liegen und Donnie nicht festgenommen wird, sind wir tot“, entgegnete Henry.

„Aber irgendetwas müssen wir doch tun!“

„Leihst du mir die Karte?“

„Was hast du vor?“

„Ich habe mich lange genug von diesem Mistkerl einschüchtern lassen. Ich bin dieser Stadt etwas schuldig.“

„Du willst die Sprengladung suchen?“

„Was ist die Alternative? Auf die große Flut warten und zusehen, wie tausende Menschen sterben? Pass gut auf Samantha auf. Ich funke dich an, wenn ich sicher bin, dass wir richtigliegen. Dann informierst du die Tribunal-Garde. Wenn ich mich in den nächsten zwei Stunden nicht melde, bringst du dich und die Kleine in Sicherheit.“

Henry eilte durch Hollow´s Hopes weitläufiges Tunnellabyrinth, das sich meterhoch und hellerleuchtet durch den Felsen schlängelte. Dabei versuchte er das Gefühl zu verdrängen, verfolgt zu werden. Je näher er seinem Ziel kam, desto schneller lief er. Vorbei an der Shopping-Mall. Vorbei an der Rollschuhbahn neben der Schule. Vorbei an den künstlich beleuchteten Gemüse-Anbauflächen. Er rannte durch den Park, in dem einige Alte auf dem Kunstrasen Boccia spielten und aus dessen synthetischen Bäumen Aufnahmen von Vogelgezwitscher erklangen. Hin und wieder vibrierte die Erde und man hörte die Detonationen der Sprengungen für die neuen Wohnhöhlen am Rande der Stadt. Über den Geschäften und Wohnungen zog sich ein Netz mit riesigen, bunten Röhren entlang – blaue für die Fernkälte, rote für die Abwärme, die durch summende Generatoren in Strom umgewandelt wurde, und grüne für das pneumatische Abfallsystem.

Henry fragte sich, wie viel Zeit er noch hatte. Da er kein Fahrrad besaß, blieb ihm nichts anderes übrig, als die öffentlichen Laufbänder zu nutzen, was ihn für jede Meile zwei Green-Coins kostete, die er an den Scannern des Schrankensystems mit einem Augenzwinkern bezahlte.

Ihm schoss durch den Kopf, dass man ihn dadurch orten konnte, aber er stand zu sehr unter Zeitdruck, um sich etwas anderes einfallen zu lassen. An einer Straßenkreuzung hielt er inne und zog den vergilbten Plan hervor. Mit dem Zeigefinger glitt er die Straße entlang bis zu seinem Ziel. In diesem Moment zupfte jemand an seiner Jacke. Er fuhr herum.

„Samantha! Verdammt, was machst du hier?“

„Ich will dir helfen.“

„Wo ist Alva?“

„Zu Hause. Ich bin weggelaufen und habe dich verfolgt. Ich habe beim ersten Spielplatz einem Jungen sein Fahrrad geklaut.“

„Bist du völlig verrückt geworden? Hier ist es viel zu gefährlich für dich!“

„Jetzt bin ich aber hier. Und du hast keine Zeit, mich zurückzubringen.“

Das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust.

„Na, schön“, knurrte Henry. „Wenn du schon einmal hier bist, kannst du Schmiere stehen, wenn ich in die Müllwartung einbreche.“

„Wie willst du das machen?“

„Mir wird schon etwas einfallen.“

Die beiden rannten in eine Seitenstraße, die parallel zum unterirdischen Staudamm verlief. Als sie um die Ecke bogen, riss Henry Samantha an sich und starrte entsetzt auf die Gruppe vor der Wartungsstation.

„Wir sind zu spät“, flüsterte er.

Wie gelähmt beobachteten sie, wie sich einer der Männer zu ihnen umdrehte und seinen Nebenmann anstieß.

Donnie Fachetta trat vor und fixierte sie mit kaltem Blick. Er sagte etwas und seine Leibwächter rannten auf sie zu.

Henry zog Samantha mit sich. Im gleichen Moment schossen fünf tiefschwarze Aufsichtsdrohnen über ihre Köpfe hinweg auf die Gruppe zu.

„Alva“, flüsterte Henry. Aus der Ferne erklangen Sirenen. Sie beobachteten, wie die Drohnen die Bande in Schach hielten. Henry kniff die Augen zusammen. Ein Mann fehlte.

Der Rückweg war ein Spießrutenlauf. Im Zick-Zack liefen Henry und Samantha durch Hollow´s Hope. Als sie hinter einem Tunnel-Dozer verschnauften und die Straße beobachteten, belauschten sie das Gespräch zweier Bauarbeiter, die sich aufgeregt über einen vereitelten Sprengstoffanschlag unterhielten.

„Wir lagen richtig“, sagte Henry, als sie kurz darauf durch den Park rannten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Samantha atemlos.

„Wir holen Alva und verlassen die Stadt, bis Donnie gefasst ist.“

„Und was ist, wenn er niemals gefasst wird?“

Er antwortete nicht, sondern drückte nur kurz ihre Hand. Als sie bei Alvas Wohnung ankamen, öffnete niemand. Samantha sprach Henrys Befürchtung aus.

„Vielleicht war Donnie schon hier und hat Alva gefangen und mitgenommen.“

Er fuhr sich durchs Haar und sah sich um.

„Du versteckst dich hinter diesem Stromgenerator. Ich sehe im Institut nach und komme gleich zurück.“

„Nein, ich komme mit.“

Henry kannte Samantha inzwischen gut genug, um zu wissen, dass jede Diskussion überflüssig war.

Er kam sich wie ein Einbrecher in den eigenen vier Wänden vor, als sie durch sein Büro zur Tür der Leichenhalle schlichen, die lautlos aufglitt.

„Alva!“

Das Mädchen rannte auf die alte Frau zu, die auf einem Rollcontainer neben Mr Jenkins Leiche saß.

„Meine Güte, bin ich froh, dass es euch gut geht“, sagte Alva und schloss sie in ihre Arme.

Henry fiel auf, dass ihr Stock neben dem Kryonik-Tank lag.

„Was ist passiert?“

„Nachdem Samantha weg war, bin ich panisch geworden und habe dem Tribunal einen anonymen Tipp gegeben.“

„Damit hast du uns gerettet. Nicht nur uns, sondern die ganze Stadt“, sagte Henry. „Aber Donnie ist entkommen. Und er wird sich rächen wollen.“

Samantha zog an Alvas Hand.

„Wir müssen weg, bevor er kommt.“

Alva stand auf und hockte sich vor sie.

„Donnie kommt nicht mehr, mein Schatz. Nie mehr.“

Mit offenem Mund verfolgte Henry jede ihrer fließenden Bewegungen.

„Warum kannst du auf einmal ohne Stock laufen?“, sprach Samantha die Frage aus, die ihm auf den Lippen lag.

„Manchmal ist es hilfreich, unterschätzt zu werden, meine Kleine.“

Henry schnappte nach Luft.

„Was machst du hier? Warum bist du nicht in deiner Wohnung?“

Alva sah ihn mit großen Augen an.

„Ich hörte Geräusche in der Leichenhalle und dachte, dass ihr wieder zurück seid. Als ich hier reinkam, sah ich, wie sich dieser Ganove über die Klappe von deinem Kryo-Tank beugte. Bevor ich etwas tun konnte, hat er das Gleichgewicht verloren und ist hineingefallen. Und dann hat sich auch noch diese schreckliche Rüttelautomatik in Gang gesetzt. Furchtbar war das! Ich wüsste zu gerne, was er dort gesucht hat.“

Henry starrte Alva an.

„Donnie ist in den Stickstofftank gefallen?“

„Ich weiß, es ist furchtbar! Ein schrecklicher Unfall. Aber immerhin ist der Kerl nun ökologisch verträglicher als noch vor ein paar Stunden.“

„Was bedeutet das?“

Samantha sah Alva fragend an, die ihr übers Haar strich.

„Das bedeutet, dass diese Stadt gerettet ist. Und Donnie wird uns nichts mehr tun. Weißt du was? Ich habe einen leckeren Pastinaken-Auflauf im Ofen. Ihr habt bestimmt Hunger.“

„Und wie!“, rief das Mädchen.

„Dann lauf vor und deck den Tisch.“

Samantha sah Henry an, der ihr mit unbewegter Miene zunickte. Sobald das Mädchen außer Hörweite war, zischte er:

„Du sagst mir sofort, was passiert ist!“

Alva zog eine Augenbraue hoch.

„Je weniger du weißt, desto besser.“

„Woher hattest du die Pläne für das Rohrsystem?“

Nach einer kurzen Pause antwortete sie: „Mein Mann war einer der Stadtplaner von Hollow´s Hope und saß im Komitee der Währungsreform. Leider ist er vor dem Aufbau umgekommen.“

„Wie?“

Sie sah ihn kalt an.

„Er wurde ermordet.“

„Sag mir nur eins: Hast du das alles geplant?“

„Unsinn! Ich bin doch keine Hellseherin. Mal abgesehen davon, dass ich rein zufällig in die Nachbarwohnung gezogen bin.“

Sie lächelte Henry an und ihm lief ein Schauer über den Rücken.

„Kommst du? Samantha wartet auf uns.“

„Alva?“, rief Henry.

Sie drehte sich noch einmal um.

„War es wirklich ein Unfall?“

„Sicher.“

Alva ging zum Kryo-Tank, hob ihren Stock auf und wischte ihn an ihrem Rock ab. „Ein Unfall. Wir leben in einer schrecklichen Welt.“