Gekaufte Liebe
Deine Haut ist perfekt. Sie ist rein und weich und samtig unter meinen Fingern. Sie ist warm. Wie bei einer Landkarte suche ich mir meinen Weg über sie hinweg, hangle mich von einem Muttermal zum nächsten, zur nächsten Sommersprosse und immer weiter. Kleine Imperfektionen, die du dir zugestanden hast. Und ich frage mich, wieso du an ihnen festhältst. Sie tragen bestimmt keine Erinnerungen, sind weniger wertvoll als Narben. Sie sind keine beinahe unsichtbaren Erinnerungsträger. Was macht sie so besonders, dass du sie bei dir halten wolltest? Sind sie mehr als ich sehen kann? Ist da mehr?
Fast hunderttausend.
Ich küsse deinen langen, eleganten Hals entlang. Ich spüre die Muskeln unter meinen Lippen, als du den Rücken überstreckst. Deine Stimme rauscht durch meinen Kopf, nötigt mir ein zufriedenes, gehauchtes Lachen ab. Kaum mehr als einen Zentimeter hebe ich meine Lippen von dir. Mein eigener, warmer Atem schlägt sich gegen deine Haut, schlägt zu mir zurück. Meine Hände wandern an deinen Seiten entlang, bis sie sich an deine Hüften legen. Kein Gramm Fett. Nichts, was an andere Stellen gehört. Nichts, was nicht dorthin gehört, wo es ist. Alles an dir ist gut durchdacht, beinahe wie eine Maschine, deren Entwicklung nicht nur Jahre sondern auch Millionen verschlungen hat.
Zwanzigtausend.
Deine Hände halten sich fest an meinen Schultern, deine Beine gegen meinen Körper gepresst. All das nötigt mir ab zu dir aufzusehen. Deine Augen sind geschlossen, ich sehe deine wunderschönen grünen Augen nicht. Sie erinnern mich an Wälder aus anderen Zeiten. Als das Moos noch dunkelgrün und dicht war, als die Bäume noch nicht traurig und vertrocknet waren. Ich sehe nicht das Glitzern in deinen Augen. Bin mir aber sicher, dass es da ist. Alles, was ich sehe, ist das Zucken unter den dünnen Augenlidern. Aufmerksam beobachte ich es und ich merke eine Gier in mir dieses Grün wieder zu sehen. Als wäre das hier und jetzt meine einzige Chance es jemals wieder zu tun. Ich weiß, dass zuletzt viele Kontaktlinsen tragen. Aber bei dir bin ich mir sicher, dass es keine sind. Solche Farben findet man nicht als Linse. Grün, ja. Aber nicht solche Details, nicht so ein Zusammenspiel. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen: deine Augen sind einzigartig und nur in ihnen kann man sich wie in Schlingpflanzen verlieren, ohne sich dabei Sorgen zu machen.
Die Farbe deiner Augen gehört nur dir. Sie ist natürlich. So wie der Rest an dir auch wirkt. Und doch ist da diese winzige Narbe. Ein heller Strich, minimal. Und würde ich dich nicht so nackt und genau hier vor mir liegen sehen, würde ich es nicht bemerken. Doch es ist die Stelle, an der du dir die Augenform hast anpassen lassen. Ein winziges Überbleibsel, das du normalerweise sehr gekonnt überschminkst.
Siebeneinhalbtausend.
Selbst als du jetzt vor mir liegst, nicht mehr darauf achtest, wie du dich gibst und noch viel mehr: wie ich dich sehe, fallen deine Haare perfekt. Als wäre das Alles bereits in jede Faser deines Körpers übergegangen. Als wüsste jede Zelle in dir, was sie zu tun hat, wie sie zu funktionieren hat abseits ihrer natürlichen Funktionen, sodass niemals das Bild von dir gebrochen wird. Damit es immer die perfekte Erscheinung bleibt, von der ich nicht genug bekommen kann. Von der du selbst nicht genug bekommst und die jeder von dir kennt. Die Perfektion auf zwei Beinen und als ich über dein weiches Haar fahre, frage ich mich, wie es aussehen würde, wäre es mal nicht perfekt? Hättest du Locken? Ist das deine natürliche Haarfarbe? Würde es sich kräuseln, die Feuchtigkeit nicht ertragen, die die Stadt seit Monaten peinigt und sofort Schweißperlen auf die Stirn treibt, sobald man das Haus verlässt? Wie wäre es? Meine Finger streichen über die perfekten Spitzen. Es fühlt sich fast nicht wie Haar an. Es hat etwas seidiges, ist etwas kühl und glatt. Es umschmeichelt deine Schultern, liegt wie akribisch platziert unter deinem Körper. Es umrahmt dich perfekt. Das ideale Kunstwerk im schützenden Rahmen. Die Hauptattraktion und das einzige Ausstellungsstück meiner persönlichen Kunstausstellung, zu dem ich immer wieder zurückkehren muss.
Ich wundere mich selbst über mich. Noch nie habe ich so ausgiebig über Haare nachgedacht. Bei den meisten ist es ein unauffälliger Teil des Körpers. Nicht zu verachten, aber auch nicht zu viele Blicke wert. Bei dir ist das anders. Bei dir muss ich hinsehen. Wie bei allen anderen Teilen deines Körpers. Ein Stück Perfektion, die meine Aufmerksamkeit für sich will.
Wiederkehrende zweitausend.
Mit einem lauten Ausatmen schiebst du dein schlankes Bein an meiner Seite vorbei. Meine Hand lässt sich etwas mitschieben, gleitet an meinem eigenen Körper vorbei. Mit dem Daumen streiche ich über deine Fersen. Sie sind zart. Gepflegt. Und dein Körper zuckt bei einem unterdrückten Kichern. Das kannst du nicht verhindern; dass du kitzelig bist. Und ich bin froh. Es macht dich so menschlich, so imperfekt, was man für einen Moment gerne vergessen könnte. Wenn alles an dir perfekt ist, ist es schwer etwas zu finden, was es nicht ist. Aber ich würde es nicht als Makel an dir beschreiben. Es ist ein Extra. Ein menschliches Extra. Etwas, das dich mit einem Mal so viel nahbarer macht. Meine Lippen kräuseln sich amüsiert, ich schmunzle verschmitzt, als ich die Bewegung wiederhole. Wieder zuckt dein Bein nach oben. Du presst die Oberschenkel zusammen, drehst den Körper etwas von mir fort, aber du entziehst dich mir nicht. Du spielst mit mir. Und ich mit dir.
Füße sind vermutlich das letzte, woran der Blick hängen bleibt, das Ende des Körpers, in der Regel der Punkt mit der geringsten Aufmerksamkeit. Für dich und mich zumindest. Aber ich spüre deine Zehen gegen meine Hüfte stoßen. Immer wieder. Ein verspieltes Grinsen liegt auf deinen Lippen. Du spielst mit mir. Du flirtest. Und du bist gut darin. Deine Füße krümmen sich unter meinen Fingern, bilden eine elegante Linie, die deinen Körper perfekt fortführt und abschließt. Sie sind das das i-Tüpfelchen, das so gerne übersehen wird, weniger Aufmerksamkeit bekommt als es eigentlich sollte. Es rundet alles an dir ab.
Dreißigtausend.
Alles an dir ist perfekt. Wirklich alles schreit mir ‚Perfektion‘ entgegen. Ich kann mich nicht sattsehen. Dein Körper liegt nicht das erste Mal vor mir, es wird auch nicht das letzte Mal sein. Und ich werde mich wieder darin verlieren, ich werde neue Kleinigkeiten suchen, die mich faszinieren. Ich werde sie finden und sie werden perfekt sein. Sie werden das Bild von dir noch genauer malen und ich werde dich noch weniger verstehen. Doch es wird mir gefallen. In diesem einen Moment jetzt gerade jedoch frage ich mich, wie du wohl aussehen würdest ohne all die Änderungen. Ohne all die Investitionen. Ich kenne dich nicht anders. Es bleibt mir nur die Vorstellungskraft. Aber es ist schwerer als gedacht mich von dem Bild zu entfernen, etwas anderes zu sehen. Etwas anderes als deine perfekten Wimpern, die vollen, glänzenden Lippen, die Kurven. Wo wäre es anders. Und wie? Verschiedene Ideen schwirren durch meinen Kopf, keine gut genug, dass sie sich festsetzen kann. Nette Ideen, aber auch nur Ideen. Nicht einmal wirkliche Vorstellungen. Dafür sind sie mir nicht perfekt genug. Nicht das, wonach ich gesucht habe.
Wären deine Haare kraus? Wie wären deine Augen? Deine Finger noch immer so zart? Dein Wangen noch so schüchtern rosig? Würden deine dunklen Wimpern jedes Mal den Atem rauben, wenn du sie niederschlägst? Würde mein Herz in meiner Brust rasen, wenn ich deine verstohlenen Blicke auf mir spüre? Könnte ich keine Sekunde zu viel von dir bekommen? Wären wir noch immer das hier, was wir sind? Wäre es anders? Wäre es besser? Wäre es weniger? Was wäre es? Wie wäre ich? Wie wärst du?
Wie warst du?
Keine Frage, die ich dir jemals stellen werde. Ich wage es nicht und es fühlt sich bereits bei dem Gedanken falsch an. Aber ich bin neugierig. So verdammt neugierig. Wie warst du? Und wieso bist du so weit gegangen? Warst du unglücklich? Wolltest du dich anders sehen? Hat es dich gestört, hast du es korrigiert? Oder bist du auf den Trend aufgesprungen dich zu perfektionieren, deine Chancen in jedem Bereich zu erhöhen? Wer nicht mitspielt kann nicht gewinnen? Gegen den Strom bringt dir heutzutage nichts mehr? Keine Sorge, ich würde dich verstehen, wenn es so war. Wer nicht das Aussehen hat, der hat es schwer. Wieso Kämpfe kämpfen, die nicht sein müssen? Und jetzt bist du glücklich, es hat sich gelohnt.
Das bist du doch, oder?
Ich weiß, dass ich dich das nicht fragen sollte, es dich auch nicht fragen werde. Wissen würde ich es aber schon gerne, wie viel diese Welt für dich gekostet hat. Dabei kenne ich doch schon deine Antwort: du wirst erst lachen, dann abwinken. Du wirst dich herausreden. Mich küssen. Ich werde es erwidern, etwas höher zu dir kriechen. Ich werde deine Hand an meinem Gesicht spüren, ein Schauer wird wieder über mich jagen und mit einem Lächeln wirst du mir sagen, dass man nicht an alles ein Preisschild hängen kann. Dass man uns beide nicht in Geld aufwiegen kann. Diesen Moment nicht. Und ich werde nicken, ich werde dir glauben und mich damit begnügen. Für den Moment werde ich nichts anderes hören wollen. Es genügt.
Sobald wir jedoch aus diesem Raum in die echte Welt zurückgehen, unsere Blase für diese Nacht wieder verlassen, wissen wir, dass es anders kommt. So anders, dass es fast schmerzen könnte.
Du sagst, Liebe und was wir haben, ist kostenlos, aber wir beide wissen: alles in dieser Welt trägt ein Preisschild.