Was ich an Projekten wie Magic Future Money mag, ist das Unbekannte. Das, was sich erst ergibt, wenn das Projekt gestartet ist und was man auch bei einer noch so gründlichen Vorbereitung nicht vorab einplanen kann (und es daher auch gar nicht versuchen sollte). Das, was entsteht, wenn man den Ball erst einmal ins Rollen bringt und was sich niemals ergeben würde, wenn man es nicht täte.
Erwarte das Unerwartbare
So auch in diesem Fall. Ben hat von dem Magic Future Money-Wettbewerb erfahren und in einem Gespräch mit jemand Drittem darüber kamen sie auf das Buch „Freie Geister“ von Ursula K. Le Guin zu sprechen. Ein Klassiker der Science Fiction-Literatur, in dem das Thema Geld wohl auch eine Rolle spiele.
Ben reichte den Tipp dann an mich weiter und weil zeitgleich Jeff fragte, ob ich noch irgendwo Unterstützung bräuchte, bot ich an, dass er ebendieses Buch doch mal lesen und eine Rezension dazu verfassen könnte. Gesagt, getan.
Hier also nun die Rezension zu einem Klassiker der Science Fiction, von dem ich vor Magic Future Money nichts gehört hatte und das ich selbst wahrscheinlich erst nach dem Projekt werde lesen können, weil mein Bücherstapel derzeit wächst und wächst und wächst. Aber Dank Jeffs Rezension weiß ich immerhin, dass das Buch auf diesem Stapel einen der oberen Plätze behalten wird.
Freie Geister – Ursula K. Le Guin
Eine Parallelwelt in einer weit, weit entfernten Galaxis. Die Kontinente des erdähnlichen Planeten Urras werden von einer hochentwickelten humanoiden Zivilisation bevölkert. Das Leben ähnelt dem auf unserer Erde vor 50 Jahren (die Originalausgabe des Romans datiert auf 1974), angereichert durch interstellare Raumschiffe. Die “soziale Frage” scheint gelöst. Die Anhänger von Odo, einer anarchistischen Visionärin, sind einvernehmlich auf den öden Mond Anarres ausgewandert und verwirklichen mit knappen Ressourcen die gesellschaftliche Vision Odos – die anarchistische Revolution.
Beide Welten sind seither isoliert voneinander, die “Odonier” leben seit sieben Generationen ihre Utopie, und trotz aller düsteren Vorhersagen haben es auch die “Propertarier” auf Urras nicht geschafft, sich selbst auszulöschen. Während die Bevölkerung auf Urras mit dem alten Gesellschaftssystem prosperiert, haben die Mondbewohner Besitz und Eigentum radikal abgeschafft. Auch was Geld überhaupt ist, wurde allmählich vergessen und durch die Schaffung einer neuen Kunstsprache, dem Pravic, erfolgreich aus dem odonischen Wortschatz verbannt. Ein Austausch zwischen den beiden Welten findet nicht mehr statt, größtenteils motiviert durch die Angst der Odonier, den Erfolg der Revolution durch äußere Einflüsse zu gefährden.
In dieser Welt treffen wir auf Shevek, einen genialen Physiker, der bahnbrechende Theorien über das Wesen von Raum und Zeit aufstellt und, getrieben von der Freude der Erkenntnis, den Austausch mit seinen Kollegen auf dem Heimatplaneten Urras sucht. Er möchte seine Theorie allen Völkern des Universums zur Verfügung stellen (von denen es nebenbei bemerkt noch einige gibt, die aber nur am Rande eine Rolle spielen und von denen wir im Verlauf des Romans auch das Schicksal der Erde erfahren). Dabei stößt er immer wieder auf Mauern, sowohl soziale, gesellschaftliche als auch physische und stellt wiederholt die Frage nach der Selbstverwirklichung des Individuums und dem Wesen der Freiheit.
Geld an sich spielt im Roman nur eine eher nebensächliche Rolle und glänzt eher durch Abwesenheit. Wie eine Gesellschaft ohne Geld, Besitz und Eigentum funktionieren kann, dekliniert Ursula K. Le Guin am Beispiel der odonischen Gesellschaft in vielen Facetten durch und zeigt auch den Gegenentwurf auf Urras, wo es eine Einheitswährung gibt. Zum Wesen dieser Einheitswährung wird aber nicht viel verraten, außer dass Münzen und Scheine genutzt werden und es Konten gibt.
Die Stärke des Buches liegt also nicht unbedingt in einer visionären Vorstellung davon, was Geld ist und wie es genutzt werden kann. Viele der großen gesellschaftlichen Ideen, die im Buch besprochen werden, sind noch heute aktuell und haben seit den 1970er Jahren nichts an ihrem intellektuellen Reiz verloren, etwa Anarchismus, Freiheit und Dezentralisierung. Die Autorin bezieht selbst keine klare Stellung, sondern lässt ihren Shevek die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme selbst durchleben. Die odonische Utopie wird dabei allerdings etwas stärker beleuchtet. Die Besiedlung von Anarres weist starke Parallelen zu den israelischen Kibbuzen auf, mit allen Vor- und Nachteilen, die für Ursula K. Le Guin eine Quelle der Inspiration waren.
Trotz der Abwesenheit von Geld oder gerade deshalb ist das Buch absolut lesenswert. Spannend, anregend, kritisch, und im Grundton positiv und zukunftsbejahend.
Und wer sich nicht gleich auf die 432 Seiten der “zwiespältigen Utopie” werfen möchte, kann online zunächst als Einstieg kostenlos die passende Prequel-Kurzgeschichte von der Autorin lesen.
„Freie Geister“ von Ursula K. Le Guin ist neu übersetzt bei Tor erschienen und kostet als Taschenbuch rund 15 Euro.